„Da es heute in mei­ner Woh­nung ge­brannt hat …“
Ge­schich­ten aus der Stern­war­ten­stra­ße um die Wende zum 20. Jahr­hun­dert.

in: Leip­zi­ger Blät­ter 42, Früh­jahr 2003, S. 80-82

Für die­sen Ar­ti­kel griff ich das Thema mei­ner Ma­gis­ter­a­r­beit noch ein­mal auf. Eine Post­kar­te, be­schrie­ben mit un­ge­len­ken Schrift­zü­gen, hatte ich bei mei­nen Re­cher­chen in der Bau­ak­te eines Hau­ses der Leip­zi­ger Stern­war­ten­stra­ße ge­fun­den. Sie gab dem Ar­ti­kel den Titel und stand gleich­sam für das Rin­gen der Men­schen um ein wür­di­ges Da­sein in der in­dus­tri­a­li­sier­ten Welt.

Le­se­pro­be

Be­reits 1904 hatte ein Mie­ter des Hau­ses das Amt um die Be­sich­ti­gung von “Übel­stän­den” ge­be­ten, die leicht hät­ten grö­ße­ren Scha­den für Haus und Be­woh­ner Vor­schub leis­ten kön­nen. Seine Post­kar­te be­ginnt mit einer Be­mer­kung, die den Schrei­ben­den als einen nüch­ter­nen, ge­rad­li­ni­gen Men­schen er­schei­nen lässt, der es ge­wohnt ist, den Ge­fah­ren des Da­seins ins Auge zu bli­cken, ohne sich er­schüt­tern zu las­sen. Er schreibt am 28. Ja­nu­ar 1904: “Da es heute in mei­ner Woh­nung ge­brannt hat …”. We­ni­ge Stun­den nach­dem “… in­fol­ge der schlech­ten Ofen­ble­che und Ofen­tü­ren …” die aus dem Ofen sprü­hen­den Fun­ken den Fuß­bo­den sei­ner Woh­nung in Brand ge­setzt hat­ten und er die­sen Brand, nur weil seine Frau ihn recht­zei­tig zu Hilfe rufen konn­te, zu lö­schen im Stan­de war, setz­te er sich an sei­nen Kü­chen­tisch und bat mit sei­nem Schrei­ben das Bau­amt um eine Be­sich­ti­gung. Un­auf­ge­regt und sach­lich schil­der­te er Grün­de und Her­gang des Un­g­lücks. Mit die­sen und ähn­li­chen Din­gen muss­ten die Zeit­ge­nos­sen rech­nen, wie auch mit über­lau­fen­den La­tri­nen­fäs­sern. Man be­ha­lf sich selbst, und wenn man dazu nicht fähig oder wil­lens war, wie zum Bei­spiel Herr Glaß, ver­fass­te man eine Karte an das Bau­po­li­zei­amt. Das ge­sch­ah häu­fi­ger in den Fäl­len, in denen der Haus­be­sit­zer nicht im Haus wohn­te. Kein Haus­be­sit­zer wird wis­sent­lich Brand­ge­fahr in sei­nem Haus dul­den, schon gar nicht Clara Ul­bricht, die drei­ßig Jahre dar­auf wie eine Löwin um den Er­halt ihres Hau­ses kämp­fen und die­sen Kampf ver­lie­ren wird.