
100 Jahre Bethlehem-Gemeinde: 1912–2012
erschienen im Oktober 2011,
98 Seiten, nicht im Handel
Am 30. Oktober 1911 konstituierte sich der erste Kirchenvorstand der Südgemeinde, der in seiner Sitzung am 13. Dezember der Gemeinde auch ihren Namen gab. Im Sitzungsprotokoll heißt es dazu. „Nach längerer Aussprache darüber wird einstimmig beschlossen, die neue Gemeinde Bethlehemgemeinde und die neue Kirche Bethlehemkirche zu benennen.“
Der Rat der Stadt Leipzig stellte für Kirch- und Gemeindehausbau an der Fockestraße zwar ein Grundstück als Patronatsgeschenk zur Verfügung. Doch sollte es 15 Jahre dauern, ehe es zum Bau des großzügigen Gemeinde- und Pfarrhauses kam.
Die Festschrift gibt einen Einblick in 100 Jahre lebendiges Gemeindeleben.
Meine Leistungen
Ich übernahm die gesamte konzeptionelle und redaktionelle Arbeit, wie die Themenauswahl, die Betreuung der AutorInnen, die Auswahl und Zuordnung der Abbildungen, die redaktionelle Bearbeitung der Texte und die Zusammenarbeit mit den Grafikern. Inhaltlich erarbeitete ich drei Einzelbeiträge, u.a. eine detaillierte vergleichende Milieustudie des Gemeindegebietes zwischen 1912 und 2012, für die ich verschiedene Akten der Gemeinde auswerten konnte.
Leseprobe
Milieustudie
In ähnlich prekären Verhältnissen wie ihre Gemeinde befanden sich auch die allermeisten Gemeindeglieder. Wohlhabende Kaufleute und Juristen gehörten nun kaum noch dazu. Im Visitationsbericht von 1956 heißt es: “Diejenigen, die noch Geld besaßen, sind alle nach dem Westen gegangen. So haben wir allermeist Angestellte, Arbeiter, Rentner“. Deswegen sahen sich die Verantwortlichen im März 1954 genötigt, aus Mitteln des Hilfswerkes eine Altenspeisung einzurichten, die über mehr als zwei Wochen 41 Personen versorgte.
Die materielle Verarmung begann sich in dieser Zeit auch auf die „sittlichen Zustände“ der Gemeinde niederzuschlagen und der Visitationsbericht bedauerte ein Voranschreiten von „Trunksucht“ und „Konkubinat“. Mindestens ebenso große Sorgen bereiteten den Verantwortlichen aber die zunehmende Zahl an Kirchenaustritten. Was mit dem Fernbleiben vom sonntäglichen Gottesdienst begann – in der Anatomie fanden zur gleichen Zeit hochinteressante Vorträge statt – endete oft mit einer vollständigen Abkehr von der Kirche. Auch die Verbreitung von Schichtarbeit lief der Sonntag-Heiligung entgegen und löste Viele Stück für Stück aus dem Gemeindeverband heraus. Daneben kehrte mancher der Kirche auch aus steuerlichen Gründen den Rücken.
Die Teilnahme an Taufen, Konfirmationen und Hochzeiten war gleichermaßen den veränderten politischen, wie wirtschaftlichen Verhältnissen unterworfen. Selbst wenn man zu seinem Glauben stehen und diese wichtigen Familienfeste in der Kirche begehen wollte, fehlten doch oft die finanziellen Mittel, diese Feierlichkeiten angemessen auszurichten. Hinzukam die versuchte Einflussnahme des Staates hinsichtlich der Konfirmation. Besonders in den 50er und 60er Jahren erfolgte eine massive Werbung für die Jugendweihe. Wer sich verweigerte und sich für die Konfirmation entschied, musste mitunter mit Repressalien rechnen. Seit den 70er Jahren begann sich die Auseinandersetzung, die anfangs auch kirchenseitig mit großer Unnachgiebigkeit geführt worden war, etwas zu entschärfen.
